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Gipfeltreffen Krise & Zukunft

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Turbo-Kapitalismus, überdrehter Geschäftstourismus, Nachhaltigkeit: Im Gespräch mit Miniatur-Wunderland-Gründer Frederik Braun und dem „100/200Kitchen“-Duo Sophie Lehmann und Thomas Imbusch kam alles auf den Tisch – auch die Frage, wie wir überhaupt leben wollen.

PRODUKTION & MODERATION  Ulrike Fischer
FOTOS  Catrin-Anja Eichinger

Das Restaurant „100/200Kitchen“ am Brandsdorfer Deich ist nicht wiederzuerkennen. Auf den rustikalen Tischen stapeln sich quer durch den großzügigen Raum Kartons, mittendrin Sophie Lehmann mit einem Tablett, darauf vakuumierte und verschraubte Köstlichkeiten vom Saibling bis zur selbst gemachten Quarkbutter. Sorgfältig verteilt Sophie diese je nach Bestellung in die Kartons. In der offenen Küche konzentrieren sich Köche und Hilfskräfte auf die Kreationen von Thomas Imbusch, die seit März letzten Jahres als gehobene Hausmannskost in die „Grundkiste“ wandern. Alle arbeiten ohne Maske,denn durch das professionelle Abluftsystem herrschen hier -Laborbedingungen. Thomas steht selbst an der Anrichte und faltet gerade frische Ravioli, die ebenso wie alle anderen Gerichte bundesweit versandt werden. Auftritt Miniatur--Wunderland-Chef Frederik Braun. „Gerrit baut gerade Monaco fertig, der hat keine Zeit!“, hatte er seinen Bruder am Telefon entschuldigt. Sophie und Thomas kennen Frederik nicht, kurz wird ausgetauscht, wie sie den Beginn der Pandemie erlebt haben ...

Sophie Lehmann (SL): Als der erste Lockdown kam, hatten wir  das Kühlhaus voll. Es folgten zwei Tage Schock-starre, dann haben wir alles eingekocht. Nach zwei weiteren Tagen mit dem einen oder anderen Gin Tonic riefen die ersten Erzeuger an, O-Ton: „Ich hab hier 600 Hühner laufen, was soll ich damit machen?“ Dann entwickelten wir die Grundkiste. Grundlebensmittel, Hausmannskost in bester Qualität zum Bestellen. Das machen wir jetzt seit gut einem Dreivierteljahr.

Frederik Braun (FB): Wir haben’s im Januar 2020 schon kommen sehen, deshalb haben wir uns den gesamten Februar vorbereitet, E-Mails für alle Eventualitäten formuliert. Ob uns die Behörde schließt, wir selbst schließen, was auch immer. Außerdem senkten wir alle Kosten und verbesserten dadurch im sonst schweren Februar sogar noch unsere Liquidität. Gerrit und ich waren dann beide noch im Skiurlaub. Als wir am 13. März zurückkamen, haben wir dichtgemacht. Dann folgten
Kurzarbeitsplanung und viel Bürokratie. Aber wir hatten auch einen Notfalltopf, ehrlicherweise, weil wir eher an einen Anschlag gedacht hatten als an eine Pandemie. Damit konnten wir auch unsere Aushilfen weiterbezahlen. 

Thomas Imbusch (TI): Wir machten im ersten Jahr nach der Eröffnung auch gute Gewinne, unser Konto war gefüllt. Und wir waren so stolz auf unsere Selbstständigkeit, dass wir keine staatliche Hilfe wollten. Unser Gastronomie-Konzept funktioniert ohnehin total anders als die Systemgastronomie: Wir haben Bebauungspläne mit regionalen Bauern, Verträge mit kleinen Erzeugern, unsere eigene Hühnerrasse und eigene Rinder. Letztlich konnten wir durch die Grundkistenaktion mindestens fünf bis sechs Betriebe am Leben halten – und sie uns. Beim ersten Lockdown hätten wir locker 1000 Grundkisten täglich verkaufen können. Die Nachfrage war unglaublich!

Krisen bewältigt man bekanntlich selten allein, wie war das bei euch, Frederik?

FB: Rückblickend muss ich sagen – und das hätte ich im März 2020 nicht gedacht: Obwohl es ein verlorenes Jahr ist, es war spannend und emotional mit unglaublich vielen schönen Momente gefüllt, dank unserer Mitarbeiter und den wirklich fantastischen Gästen. Obwohl wir allen angeboten haben, die Tickets zu erstatten: Fast niemand wollte das, die wollen wiederkommen, sobald es möglich ist. Der Zuspruch, die unzähligen Mails, obwohl wir quasi nichts geboten haben – das war beeindruckend. Einer hat zu Hause sogar unser Knuffingen im Karton nachgebaut, der muss Hunderte Stunden daran 
gesessen haben. Es geht eben nicht nur ums Geld. Klar sind wir ein kommerzieller Betrieb, aber das ist eher das Abfall-produkt von dem, was wir eigentlich wollen. Und wenn ich sehe, was ihr hier aufgebaut habt. Da steckt doch mehr als Geldverdienen dahinter! Seid ihr eigentlich ein Paar?

TI: (lacht) Ja. Was wir machen, kannst du nur machen, wenn beide das wollen. Als ich Sophie damals von meiner Idee -einer absolut nachhaltigen Spitzenküche erzählte, sagte sie nur, okay, machen wir! Aber was wir bis März 2020 gemacht haben, 40 Gäste am Abend und bis zu 60 Prozent Geschäftsleute in der Woche, die es hier richtig krachen lassen – das ist erst mal Geschichte. Wir werden unser laufendes Onlinegeschäft zum zweiten Standbein ausbauen. Denn auch der internationale Gourmettourismus wird so nicht wiederkommen.

FB: Das glaube ich nicht! Ich bin da ganz optimistisch, die Leute sind so schnell wieder im alten Muster ...

TI: ... Aber nicht der Gourmettourismus! Das sind Leute, die weltweit von A nach B zum Essen fliegen, das ist erst mal vorbei. 

FB: Ich bin 2006 zum Optimisten des Jahres gewählt worden: Lasst uns 2022 noch mal wieder treffen, ich schwöre das kommt zurück!

SL: Was ich schon glaube, ist, dass die Leute es viel mehr zu schätzen wissen, wenn sie wieder raus können. Und unser Konzept wird vielleicht eher überleben als eine Gastronomie, die alles auf billig macht, mit Kalkulationen, die nur durch Mindestlöhne ohne Verträge funktionieren, die erst durch das Trinkgeld attraktiv werden.

FB: Auch wenn ich mich jetzt um Kopf und Kragen rede: Ich glaube, die Pandemie bringt ans Licht, was da teilweise für krude Geschäftsmodelle unterwegs sind. Es kann doch nicht sein, dass bestimmte Unternehmer schon ein, zwei Wochen nach dem ersten Lockdown anfangen, den Staat zu verklagen, als wenn der was für das Virus könnte ... 

TI: ... und das sind genau die Leute, die ihre Schäfchen längst im Trockenen haben, Leute, die mit ihrem Gemecker in der Öffentlichkeit den Ruf der Gastronomie ruinieren.

FB: Wie schnell manche Unternehmer*innen Jens Spahn und unsere Regierung kritisiert haben! Dabei denke ich, viel besser hätte man es nicht machen können. Fehler können passieren, aber wo gibt es das schon, dass ein Politiker einen Fehler auch eingesteht? Jens Spahn hat das getan, das rechne ich ihm hoch an. 

Ich denke – egal welche Branche – Unternehmen, die nur auf Expansion aus sind, alle Gewinne rausziehen und auf Pump expandieren, kriegen jetzt die Quittung. Dieser entfesselte Kapitalismus, das kann es nicht sein. Mir fällt gerade die Presse-konferenz eines großen Autokonzerns letztes Jahr ein. Da wurde die besten Geschäftsergebnisse der letzten Jahre präsentiert und in gleichem Atemzug verkünden sie weitere Entlassungen – von denen kaufe ich kein Auto mehr!

Aber ihr expandiert doch auch.

FB: Das stimmt, unser Miniatur Wunderland wächst. Gerade bauen wir Monaco, den Inbegriff des Kapitalismus. Und in den letzten Jahren hatten wir Angebote, in die ganze Welt zu expandieren. Aus Abu Dhabi bot man uns einen dreistelligen Millionenbetrag. Das hat uns eine schlaflose Nacht gekostet, dann haben wir abgesagt. Wir wollen in Hamburg bleiben! Hier haben wir alles, was wir zum Leben brauchen. Dennoch glaube ich, dass der Mensch so ist, wie er ist. Sobald das Impfen funktioniert, ist das alte Leben schneller wieder da, als wir denken, da wird es schwierig mit echter Nachhaltigkeit.

Beim Thema Nachhaltigkeit ufert das Gespräch ein bisschen aus. Thomas und Sophie haben eine eindeutige Haltung, was Essen und Trinken betrifft. Es geht um Billigfleisch und Green Washing bei McDonald’s, um den Wert eines Saiblings aus Plön, der acht Tage gebeizt wird, und warum ein guter Burger eigentlich 50 Euro und ein Liter Milch fünf Euro kosten müsste. Thomas Imbusch will nicht in den Kopf, dass Bauern, die für das Wichtigste, nämlich unsere Ernährung arbeiten, nicht ohne Subventionen über die Runden kommen – und ist überzeugt, dass man 80 Millionen Menschen durchaus nachhaltig ernähren kann. Ein spannendes Thema, das wir an anderer Stelle fortsetzen müssen.

Kehren wir noch mal zum Hamburger Tourismus zurück: Was glaubt ihr, wie sich die Stadt zukünftig entwickelt?

FB: Aus kommerzieller Sicht mache ich mir keine Sorgen, Hamburg hat alles, was du brauchst als Tourist – Hamburg ist leider geil! Wir haben den Hafen mitten in der Stadt, frische Luft, wir haben einen Binnensee, tolle Gebäude, immer mehr Sterneküche und Attraktionen. Die Touristen, die du befragst, sind doch allesamt begeistert – das wird so bleiben! Die Frage ist, ob man als Touristiker*in, egal ob Miniatur Wunderland oder Hotelier, immer weiter auf Expansion setzen sollte. 

Aber – gesetzt der Fall, alles läuft wieder – auf die amerikanischen Gäste verzichten und dafür auf die Familie aus Hannover setzen, die mit dem Elektro-Auto anreist? Ich hab keine Antwort darauf, aber alles nachhaltig zu machen, wäre für Hamburg mit erheblichen Einbußen verbunden.

SL: Das geht doch vielen so, du denkst darüber nach, was du dir aufs Brot oder ins Gesicht schmierst, ob der Wein wirklich von dort kommen muss oder du überhaupt Eier essen solltest. Es ist eine permanente Reibung am eigenen Wissensstand. 

Euer Ausblick für 2030?

SL: Ich hätte schon große Lust, neue Konzepte für die Metropolregion, sowohl wirtschaftlich als auch sozial und nachhaltig anzuschieben. 

FB: Wenn ich mir was bei einer Fee wünschen dürfte, sollte Hamburg genau so bleiben, wie es ist, nur auf eine ökologisch nachhaltige Art und Weise – wie das genau gelingen soll, weiß ich nicht, es ist ein ewiger Widerspruch. Ich bin gespannt auf die Antwort in Zukunft!

TI: Wir wollen spätestens 2030 völlig unabhängig von Industrie und Handel sein. Dann erzeugen wir unsere eigene Seife, betreiben ein eignes Hotel, führen unsere eigene Landwirtschaft und eine Akademie für nach-haltige Kochausbildung. Ich möchte später zumindest sagen können: Wir haben es versucht!