Kultur und Freizeit sind die Zukunft

Gipfeltreffen Kultur & Innenstadt

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Was wird aus Hamburgs Innenstadt? Welche Konzepte und Ideen können das Areal von der Mönckebergstraße bis in die HafenCity beleben? Ein Spaziergang mit Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und Event-Spezialist Uwe Bergmann.

PRODUKTION & MODERATION  Ulrike Fischer
FOTOS  Catrin-Anja Eichinger

Eine skurril anmutende Begegnung am Eingang der Mönckebergstraße. Wo vor Kurzem Karstadt Sport und die gegenüberliegende Galeria Kaufhof geschlossen wurden, treffen mit Mützen und Masken vermummte Gestalten aufeinander. Amelie Deuflhard, seit 14 Jahren Intendantin auf Kampnagel, und Uwe Bergmann, der mit seiner Event-Agentur seit Jahrzehnten so ziemlich alle relevanten Events der Hansestadt organisiert und begleitet. Beide kennen sich nur vom Grüßen auf offiziellen Empfängen. Mit dabei ist auch NDR-Redakteur Daniel Kaiser, der das Gespräch für 90,3 begleitet. Bei eisigem Wetter sind wir auf einen Spaziergang verabredet, um zu erfahren, wie die Theatermacherin und der Spezialist für Events aller Art die Zukunft der Innenstadt sehen.

Gastliebe: Frau Deuflhard, Herr Bergmann, wie sieht es denn aktuell bei Ihnen auf Kampnagel und im Büro aus?

Amelie Deuflhard (AD): Die Hallen sind verwaist, das ist schon traurig, aber wir proben weiter, solange das möglich ist und spielen Geisterpremieren. Parallel überlegen wir uns, wie wir in einer solchen Zeit Programm machen können, probieren aus und lernen viel Neues dazu. Das macht natürlich auch Spaß. Aber im Grunde warten wir, dass wir endlich wieder loslegen können.

Uwe Bergmann (UB): Wir sind sonst um die 30 Leute, aber bis auf drei, vier Kolleg*innen alle in Kurzarbeit. Wir treffen uns aber regelmäßig virtuell, damit wir wissen, dass alle noch am Leben sind und nicht übergewichtig werden (lacht)

Mit Blick auf die geschlossenen Häuser hier vor Ort: Könnte die Innenstadt in Zukunft von Kultur und Events profitieren?

AD: Das Karstadtgebäude ruft natürlich ganz laut danach! Das Schlimmste, was einer Innenstadt passieren kann, ist Leerstand. Wobei Karstadt bekanntermaßen kein reines Corona-Opfer ist. Mich erinnert das alles sehr an die Zeit nach dem Mauerfall, als wir erlebten, was mit den ostdeutschen Städten passiert ist. Da kann die Kultur schon sehr gut Weichen stellen. Vielleicht anfangs mit temporärer Umnutzung der leer stehenden Gebäude, aber vielerorts können dadurch auch langfristige Veränderungen stattfinden. Wir arbeiten für das nächste Sommerfestival mit der Performance-Gruppe Nesterval aus Wien zusammen, die macht eine Art Buddenbrooks-Stationen-Drama, wo Zuschauerinnen und Zuschauer immersiv und aktiv beteiligt sind, die könnten mit passenden Sicherheitsvorkehrungen hier quer durchs ganze Haus ziehen, zumal es in dem Stück auch um die Entstehung neuer Ökonomien geht, also genau das, worüber wir gerade reden. Auch der chilenische Choreograf José Vidal, der für seine riesigen Performances oft mit bis zu 100 Tänzer*innen arbeitet, eine Lichtinstallation von Olafur Eliasson oder Janet Cardiff mit ihren großartigen Soundinstallationen – die könnten hier alle prima die Häuser bespielen und Leben in die Stadt bringen!

UB: Ich könnte mir auch große Vintage-Märkte wie in London vorstellen. Viele junge Leute wollen ja gar nichts Neues mehr kaufen und suchen nach Alternativen. So könnte man auch eine jüngere Zielgruppe ansprechen, Menschen, die viel internationaler unterwegs sind und das Besondere suchen. Wichtig ist nur, dass die Türen sich öffnen und man nicht alles verrammelt.

AD: In der Nachwendezeit in Berlin haben wir recht gute Erfahrungen mit Investoren gemacht. Die haben schließlich auch kein Interesse daran, ihre Immobilien verkommen zu lassen. Vielleicht kann man die Gebäude auch Start-ups zur Verfügung stellen, die hier neue Geschäftsideen entwickeln. Die Mieten in Hamburg sind hoch, aber wenn noch mehr Leerstand in der Innenstadt produziert wird, kann das ganz schnell runter gehen, auch für die Immobilienbesitzer!

UB: Die Pandemie hat uns doch alle nachdenklich gemacht, auch was Großevents betrifft. Die Frage ist, was wir wirklich wollen in Zukunft. Ich würde mir auf jeden Fall mehr Qualität wünschen.

Wir verlassen die Mönckebergstraße Richtung Deichtorhallen, im Blick die Lücke, die der Abriss der City Höfe geschlagen hat, wechseln die Straße und halten vor der Markthalle. 

Seit November 2020 hat die Stadt die Konzerthalle für das Winternotprogramm gemietet, bis zu 200 Obdachlose können sich hier aufhalten. Kommen wir mit solchen Konzepten der Utopie einer gerechten Stadt näher?

UB: Ich finde es klasse, dass die Markthalle jetzt dafür von der Stadt gemietet wird ... 

AD: ... und das in der Innenstadt, an so zentraler Stelle. Umnutzung ist eines meiner Lieblingsthemen. Auch wir bei Kampnagel könnten da mehr machen und noch durchlässiger werden für unterschiedliche Nutzungen je nach Bedarf, zum Beispiel für Schulen. Allerdings steht die Markthalle aufgrund der anstehenden Renovierung länger leer. Wir arbeiten im Moment auf Sicht, müssen schnell reagieren, wenn wir wieder aufmachen dürfen.

Hat die Pandemie die Branchen gegeneinander aufgebracht?

UB: Wir sind alle von der Pandemie bedroht, deshalb ist es völlig sinnlos, mit dem Finger auf andere zu zeigen, der darf das und ich nicht – ich glaube, das haben wir hinter uns. Wir können das nur gemeinsam wuppen!

Weiter geht es Richtung Deichtorhallen zum nächsten Stopp auf die Oberhafenbrücke mit Blick auf Hafen und HafenCity.

Sind so was wie die Cruise Days noch denkbar, Herr Bergmann?

UB: Ich halte das Kreuzschifffahrt-Bashing für überzogen. Klar ist das alles nicht immer nachhaltig, aber wir haben ja oft mit den Reedereien zu tun, da wird unglaublich viel in neue Techniken investiert. Hamburg ist eine Hafenstadt, in der Schiffe ankommen und abfahren, die Cruise Days sind weltweit einzigartig. Außerdem muss man auch nicht nur applaudieren. Wir hatten letztes Jahr Foren, in denen sich durchaus kritisch geäußert wurde, das gehört in unserer Gesellschaft einfach dazu. Ich persönlich finde die Veranstaltung unglaublich faszinierend. Die Lichtinstallationen von Michael Batz, das sind ganz große Bilder, die vergesse ich mein Leben nicht! 

AD: Es gibt auch auf Kampnagel Künstler, die mehrere Monate im Jahr auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten, wie beispielsweise Manuel Muerte, Performancekünstler und Magier.

Könnten Sie sich Kampnagel-Produktionen auf einem Kreuzfahrtschiff vorstellen?

AD: Viele der Künstler*innen, mit denen wir arbeiten, sehen die Kreuzschifffahrt besonders aus ökologischer Sicht eher kritisch, aber der Gedanke ist spannend – ich wäre am Start für eine Kooperation. (lacht)

Ankunft im Oberhafenquartier, Amelie Deuflhard will später unbedingt noch in die Hanseatische Materialverwaltung...

UB: Das Oberhafenquartier ist für mich eines der besten Beispiele für gelungene Nutzung! Vor ein paar Jahren waren hier noch lauter baufällige Schuppen und Lagerhallen, erst durch die günstigen Mieten haben sich hier unterschiedliche Akteure aus Kultur, Läden, Agenturen, Kreativbüros und Gastronomie angesiedelt.

AD: ... und das ist ein wichtiger Impuls, der auch die Innenstadt und die Hafencity inspirieren kann: Die Idee einer total gemischten Nutzung! Natürlich sind die Voraussetzungen jeweils anders und die HafenCity muss nicht schrabbelig aussehen, um zu punkten. Aber schon allein durch gemischte Nutzung kommt Vielfalt und damit Leben in Stadt und in die HafenCity!

Und welche Veranstaltungskonzepte haben aus Ihrer Sicht Zukunft, Herr Bergmann?

UB: Ich fände es wichtig, dass Hamburg im Frühsommer ein Signal setzt. Warum nicht ein Fest über die ganze Stadt verteilt feiern? Lasst uns doch dezentral zu ganz verschiedenen Happenings und Veranstaltungen treffen!

AD: Auf jeden Fall! Wir können größer planen, aber so, dass das auch kleinteilig und coronagerecht funktioniert.

UB: Ich würde Hamburg gern etwas zurückgeben, schließlich kommen wir mit der staatlichen Unterstützung einigermaßen durch die Zeit. Aber auch wenn sich alles wieder normalisiert: So etwas wie das Alstervergnügen sollten wir in dieser Form nicht mehr machen, weil da außer Essen und Trinken nicht viel stattfindet. Kultur kostet Geld und in Zukunft wäre eine Art Obolus, eine freiwillige Unterstützung durch Besucher*innen, Hotels und die Stadt eine große Chance, ein hochwertiges Vergnügen zu organisieren, das alle bereichert. Wenn 100 000 Gäste je fünf Euro spenden würden, hätte man schnell eine halbe Million zusammen, daraus könnte man richtig was machen!

AD: Ich glaube, vielen wird jetzt erst klar, wie wichtig Kultur- und Freizeitveranstaltungen auch wirtschaftlich sind. Ohne uns wird Reisen in Städte unattraktiv!

Wir verlassen das Oberhafenquartier Richtung Elbphilharmonie, überqueren den Vorplatz des Maritimen Museums am Magdeburger Hafen und bleiben Ecke Singapurstraße stehen.

Die HafenCity ist, anders als das Oberhafenquartier, von langer Hand geplant. Wie könnte hier eine kulturelle Zukunft für Besucher*innen und Einheimische aussehen?

AD: Bisher konzentrierte sich alles auf die Elbphilhamonie, weil da jede*r hinwill, das erlebe ich auch bei unseren internationalen Künstler*innen. Mittelfristig braucht es Freiraum für diversere künstlerische Angebote, auch innovative Laden- und Gastronomiekonzepte fände ich sinnvoll. Dafür müssten allerdings die Mieten runter. 

UB: Viele HafenCity-Bewohner*innen wollen leider keine Events, sondern ihre Ruhe. Da würde ich mir mehr Offenheit wünschen. Die Menschen sollen sich im öffentlichen Raum begegnen können, Nachbarschaft ist ein superwichtiges Thema! 

Was glauben Sie, wie sieht die Strecke, die wir spaziert sind, in zehn Jahren aus?

AD: Ich glaube, dass keine Autos mehr fahren und alles in Parklandschaften verwandelt ist (lacht). Und bestimmt wird es mehr Kultur geben. Ich glaube schon, dass sich alles in den nächsten 20 Jahren besser durchmischt!

UB: Der Baakenhafen wird vermutlich der erste Bereich sein, der in diese Richtung tickt: ein Mix aus Büros, Wohnungen, Hotels, Kitas, Einzelhandel und Gastronomie. Die Planenden haben ja von Quartier zu Quartier dazugelernt.